Afrika hautnah-1994
Tage im Mikumi Nationalpark
Ergeben warteten wir. Irgendwann kam ein altersschwacher Landrover die Straße entlang. Unser Vermittler stieg aus, und mit ihm zwei junge Unternehmer, die sich mit dem Auto und dessen Einsatz eine Existenz aufbauten. Ich gab dem Vermittler noch Provision, obwohl er diese nicht verlangt hatte. Die Hälfte des Fahrpreises bezahlte ich gleich, die zweite Hälfte erst am Ziel, so vereinbarten wir die Zahlungsmodalitäten. Ich durfte, wieder wie Albrecht anmerkte, vorne neben dem Fahrer Platz nehmen. Hinten kamen alle auf die kleine Ladefläche. Alle Gestrandeten sollten mitkommen können, ohne erneut zu bezahlen, hatten sie doch kaum mehr als einen Plastikbeutel oder Karton an Habseligkeiten bei sich. Einer der jungen Männer trug nur eine zerschlissene Gummisandale. Er wollte nach Hause und bat Albrecht um einige Münzen. Es war kein aufdringliches Betteln, sondern eine von Scham geprägte Geste einer bittenden Hand. Einige Scheine wechselten dann den Besitzer. Der Fahrer wollte Neues über Europa und den Papst erfahren, erzählte vom Wagnis des Autokaufes und der Finanzierung. Er schien sich für vieles zu interessieren. Den Fahrpreis sah ich gut investiert und in Ordnung. Albrecht wurde in ein Gespräch über das nun vereinte Deutschland, -was noch nicht bekannt war-, verwickelt. Auf die Frage, welches Deutschland denn nun gewonnen habe, erklärte er das friedvolle Ende dieses langen Konfliktes und sah dabei in erstaunte Gesichter. Die Straße wurde nicht besser, zeitweise führte sie durch ein ausgetrocknetes Flußbett. Am Nachmittag erreichten wir den Ort Mikumi, wo reges Gedränge herrschte. Unsere Gefährten stiegen aus und machten sich auf den Weg zu ihren Zielen. Viele Busse warteten am Straßenrand, keine Pick-ups, sondern richtige Busse! Nun ging es auf der gut ausgebauten und asphaltierten Straße in Richtung Mikumi-Camp im Nationalpark. Junge Elefantenbullen versuchten sich im Wettrennen mit uns. Am Campeingang mußte Albrecht erst einmal US-Dollar locker machen. Ungefähr 360,-US$, eine ganze Menge für drei Tage Aufenthalt im Camp ohne Übernachtung und ohne Essen. Eigentlich wäre für das Fahren vom Eingang bis zur Unterkunft auch noch zu bezahlen gewesen, aber das wurde uns erlassen.Wir waren gut gelaunt, ebenso unsere Jungunternehmer. Auf die Einladung in das Restaurant reagierten sie freudig und wirkten auch etwas schüchtern. Sie bestellten Bier und wurden bedient, ein sicher ungewohntes Geschehen für die beiden. Uns machte es Freude. Bald danach machten sie sich auf den Heimweg nach Kidatu und wir bezogen unser Quartier für drei Nächte in einer der Hütten im Camp. Statt Fensterscheiben gab es feine Drahtgitter und das Duschbad hatte einen Notausgang nach draußen. Das fand ich kurios. Wir richteten uns ein, saßen anschließend auf der Veranda und ließen die Atmosphäre auf uns wirken. Alles hatte sich noch gut gefügt. Im Halbrund standen einfache Holzhütten und am Ende noch zwei gemauerte Häuschen. Wie es schien waren wir die einzigen Gäste.
Duschbad mit Notausgang
Laute weckten uns nachts. Sie klangen unheimlich und beängstigend, dominant, kehlig, ungestüm, laut, unbekannt… Stocksteif lag ich im Bett. Wir sprachen kein Wort. Kratzen an der Tür, Tapsen auf dem Holzboden der Veranda, den Atem anhalten… nur Drahtgitter am Fenster. Irgendwann wurde es wieder still vor der Hütte. Ich sehnte den Morgen herbei. Als mein Herzschlag langsamer wurde konnte ich einschlafen. Am Morgen lagen die Reste eines gerissenen Gnus unweit in der Wiese. Die Angestellten berichteten von einem Löwenrudel, das nachts zugeschlagen hatte. Die Löwen kamen öfter, und auch das Gnu war regelmäßig gesichtet worden. Wie wir feststellten, hatten wir unsere Hüttentüre nicht richtig gesichert, den oberen Riegel nicht vorgeschoben. Nicht auszudenken…
Das Frühstück brachte unsere Lebensgeister wieder zurück. Die Savanne bis an den Horizont ließ die Schrecken der Nacht vergessen, es war unglaublich schön. Den Tag verbrachten wir im Bereich unserer Hütte und dem Restaurant, das gleichzeitig auch als Rezeption diente. Die Angestellten waren in kleineren Hütten untergebracht. Mit dem Manager kamen wir ins Gespräch. Er bot freundlicherweise eine Fahrt zu den Verwaltungsgebäuden an. Unsere Reisekasse hatte uns das Anmieten eines Autos mit Fahrer nicht ermöglicht, was den Manager erstaunte. Wir relativierten seine Einschätzung vom reichen Weißen mit Angabe unserer Einkommen, Fixkosten in Europa und dem Ansparen für diese Reise. Unweit des Camps lag das Löwenrudel schläfrig in der Sonne. Honeymoon, meinte der Manager und grinste. Er hielt das Auto an. Unschuldig, wie Plüschtiere, wirkte die Bande. Einer von ihnen riß gähnend sein Maul auf und zeigte seine Zähne, die Augen kaum geöffnet. Wir fuhren weiter. In einem flachen Gebäude waren Verwaltungsräume untergebracht, aber auch Möglichkeiten für Jugendgruppen, Forscher und anderen Interessierten waren vorhanden. Der Wildpopulation wurde hier dokumentiert und systematisch erfaßt. Daneben gab es noch einen Campingplatz. Campieren? Diese Vorstellung versetzte mich in starkes Erstaunen, nach den Erfahrungen der letzten Nacht, unvorstellbar. Auf der Rückfahrt waren die Löwen verschwunden. Abends saßen wir auf unserer Veranda. Eine borstige Familie mit Frischlingen kam verbei, nicht beunruhigend. Die Nacht brach schnell herein. Die Türe sicherten wir diesmal zweifach und versuchten zu schlafen, was auch gelang.
Mister Joseph oder die Nacht der Nächte
Ohrenbetäubendes, splitterndes Holz, als würde eine Hütte zerlegt, Geschrei aus verschiedenen Richtungen. Lautlos lagen wir, in der nun zweiten Nacht, unter unseren Moskitonetzen. Der Klang von Stockhieben war zu vernehmen, wieder Geräusche von berstenden Holz, Geschrei. Wir waren die einzigen Gäste, was war los? Am nächsten Morgen die Erklärung: Mister Jospeh, der alte Elefantenbulle, hatte sich am Küchendach versucht und es angehoben. Vorher war er an den Hütten der Angestellten vorbei und hatte allerlei Kleinholz hinterlassen. Er war kein Unbekannter und wollte sich an der Orangenlieferung des Vortages bedienen. Meine Anspannung ließ allmählich nach. Es gab keine Verletzten nur S(D)achschaden. Ich atmete durch.
Mit dem Manager fuhren wir in den Ort Mikumi, wo er einiges zu erledigen hatte. Wir tauschten Travellerscheks in Landeswährung ein, was ein Fehler war. Auf der Rückfahrt erfuhren wir, daß für die Übernachtung nicht nur US$ cash sondern auch US$-Travellerschecks zur Bezahlung akzeptiert würden. Mit Landeswährung konnte nicht bezahlt werden. So wäre uns die US$-Reserve in bar geblieben. Nun gut, in Dar es Salaam würden wir mit Mastercard in den Banken Geld bekommen. Der Manger erzählte auf der Fahrt auch noch schaurige Geschichten von Elefanten und einer totgetrampelten Touristin, einem Asiaten, der besonders gute Bilder von Krokodilen machen wollte und dabei sein Umfeld vergaß. Die Krokodile umzingelten ihn, es gab kein Entkommen, und das vor den Augen der Gruppe. Die Fahrt war zu Ende. Das war gut so, denn mein Bedarf an solchen Berichten war gedeckt. Zurück im Camp tat sich was, Gäste waren angekommen; ein Weißer mit Gefolge. Die Angestellten liefen in Richtung gemauerter Unterkunft und wieder zurück, wieder hin und zurück…Der Weiße, ein Manger einer europäischen Airline aus Dar es Salaam verbrachte manchmal einige Tage hier im Camp. Wir saßen auf der Veranda und sahen dem Treiben zu. Hinter den Büschen im höheren Gras suchte ein Elefant Deckung. Einem der vorbeieilenden Angestellten rief ich aufgeregt entgegen, «Mister Joseph???» «No», kam es mit Lachen zurück, » Sadam Hussein.» Was mich auch nicht beruhigte. Alles Süße hatten wir aufgegessen, um keine Verlockungen für Elefanten in unserer Hütte zu bieten. Als ich abends im Bett lag, hoffte ich auf die Anwesenheit von Löwen, so dachte ich, dann würden die Elefanten wegbleiben. Es blieb ruhig diese Nacht, nur aus der steinernen Unterkunft war noch lange Gelächter zu hören. Am nächsten Tag reisten wir mit den Linienbus von Mikumi-Ort über Morogoro nach Dar es Salaam.