Zwischen Beijing und Osaka 1.Teil

Zwischen Beijing und Osaka 1.Teil

Im Land der Pferdekopfgeigen

Die schier nicht endende Taxifahrt vom Chingis-Khan-Airport zu unserer Unterkunft in Ulaanbaatar schüttelte uns Insassen, wir waren in einem Sammeltaxi unterwegs, und das Auto gehörig durch. Spurhalten war aufgrund der unglaublich tiefen, breiten, langen und ausgefransten Schlaglöcher nicht möglich. Jeder suchte seinen Weg, den er für den Besten hielt. Albrecht stellte die schlechtesten Straßenverhältnisse auf dieser, unserer Welt fest. Zu schnelles Fahren wurde sofort bestraft, unter Umständen mit Achsbruch… Nun, wir kamen bei Sibylle in einer Oase glücklich und heil an. Dieses Guesthouse OASIS erinnerte im besten Sinn des Wortes an eine Herberge. Im Garten luden Gers ein, die angemietet werden konnten. Das Haus selbst war einfach ausgestattet, gemütlich, mit vorwiegend österreichisch-deutscher Küche, ein Glückstreffer. Sogenannte Overlander und Biker aus aller Herren Länder trafen sich hier um sich auszutauschen. «Lieber über Rußland oder ist Usbekistan doch auch möglich…», so und ähnlich verliefen die Fachsimpeleien. Das Gästebuch las sich wie ein Abenteuerroman.

Frühmorgens wurden wir von Mitarbeitern der Organisation World Vision im Guesthouse abgeholt. Mit einer Dolmetscherin, Fahrer und Projektmanager für Agrar samt uns beiden war der Wagen voll besetzt. Unser Ziel war zirka drei Autostunden entfernt in Zuunkharaa nördlich von Ulaanbaatar. Dieses Gebiet war kein Touristenziel, sondern eher verschlafen und einsam. In der Weite der Landschaft schienen sich Herden, manchmal mit Reitern, ohne Grenzen zu bewegen. Flüsse, in kleinen Orten auch Felder, nach Regen überall sattes Grün auf den Hängen und Ebenen, ein schönes Land. Aus Gesprächen erfuhren wir von Befürchtungen, den Bergbau betreffend, und dem illegalen Abbau von Gold. Dieses Edelmetall verbirgt sich unter so manchem samtgrünen Hügel. Schürfrechte wurden bereits großzügig an Chinesen vergeben, an Kanadier, an Großkonzerne und an kleinere «Goldsucher». Quecksilber wurde und wird verwendet. In einem der Flüsse haben Fische schon mit dem Sterben begonnen.

In Zuunkharaa wurden wir schon erwartet. Nyamdorj stand in mongolischer traditioneller Kleidung, mit blauem Seidenschal über den Handgelenken und einer Schale Stutenmilch vor uns. Wir tranken aus der Schale und die erste Anspannung legte sich auf beiden Seiten. Ein interessantes Programm wurde geboten. Unter anderem besuchten wir auch das Agrarprojekt. Die Anbauflächen bewirtschaften Familien und der Ertrag wird auch in Eigenregie vermarktet. Die Produkte finden auch in Ulaanbaatar reißenden Absatz. Die Arbeit von World Vision wurde vorgestellt, doch den Höhepunkt bildete das gemeinsame Essen in einem Lokal. Mutter, Bruder, unsere Dolmetscherin, wir und unser Patenkind fanden manchmal nicht die richtigen Worte, doch das tat der Stimmung keinen Abbruch. Die Kinder wirkten fröhlich und langten kräftig zu. Unser Besuch war kurz, der Nachmittag war angebrochen und wir mußten noch zurück in die Hauptstadt. Der Abschied war dann doch etwas emontional, als der Junge eine Pferdekopfgeige an Albrecht überreichte. Das Instrument war von seinem Onkel gefertigt worden. Dieses wunderbare Geschenk nahmen wir an, obwohl… wie sollten wir damit die nächsten Wochen über Land und Meer nach Japan reisen. Zurück ging die Fahrt nach UB, Jubi genannt, vorbei an Pfählen die mit bunten Bändern umwickelt waren. Autofahrer hielten an, um für eine sichere Fahrt zu bitten, umrundeten den Pfahl und besprengten ihn mit Milch.

Am nächsten Tag überlegten wir mit Sibylle, wie mit der Pferdekopfgeige weiter zu verfahren sei. Das Angebot, die Geige im Guesthouse zu behalten, – es wäre sicherlich ein geeigneter Platz gewesen, verweigerte sie mit einem, «nix da!» Die Geige mußte nach Deutschland. Nach Abklärung der Transportkosten von ungefähr 60,- Euro machte sie sich gemeinsam mit ihrer Sekretärin daran dieses «Ding» zu verpacken. Wir hatten ja keinen Kasten dafür. Am 10. August 2012 ging’s zur Post, begleitet von unseren zweifelnden Gedanken. Am nächsten Tag holten wir unsere Zugtickets ab. Die Hinterlegungsadresse, ein Reisebüro, stimmte nicht mehr. Vor drei Wochen war die Agentur, wie wir im Häuserblock erfahren konnten, umgezogen. Ein trostloser Freitag und es regnete. Nun ja, schlußendlich klappte die Bürosuche und wir erhielten unsere Tickets ausgehändigt. Mit dem öffentlichen Bus fuhren wir in Richtung Guesthouse. Ohne Federung plumpste er von einem Schlagloch in das nächste. Die Schaffnerin und eine ältere Frau, ich hätte dieser ihre Vehemenz nie zugetraut, verhinderten den Einstieg eines Schwarzfahrers. Das hieß, sie stießen ihn hinaus. Ich sah nicht wie er landete. Die Bustür schloß sich. Es regnete weiterhin und so nahm ich mir in unserem Zimmer Zeit für die Geschichte der Pferdekopfgeige.

Morin Khuur, die Pferdekopfgeige

In alter Zeit lebte der kleine Schäferjunge Sucho in den Weidegründen der Tsachar bei seiner Großmutter, da er Waise war. Als er 17 Jahre alt wurde war er schon ein beliebter und guter Sänger. Eines Tages fand er ein neugeborenes Fohlen, weiß und wollig. Er nahm es mit nach Hause und zog es auf. Das Fohlen wuchs zu einem kräftigen Pferd heran. Es war schneeweiß, gesund und schön. Sucho liebte es über alles. Und es begab sich, daß ein Pferderennen auf Wunsch des Prinzen ausgetragen werden sollte. Der Sieger würde die Tochter des Prinzen zur Frau erhalten. Sucho nahm am Rennen teil und gewann. Der Prinz wollte nun, da er wußte, der Sieger sei nur ein Hirte, sein Versprechen nicht einlösen, aber er wollte das Pferd. Sucho weigerte sich, sein geliebtes Pferd zu verkaufen. Da wurde der Prinz zornig und ließ Sucho so lange verprügeln, bis er das Bewußtsein verlor, dann wurde er die Stufen hinuntergeworfen. Das weiße Pferd behielt der Prinz. Sucho wurde gesund gepflegt. Eines nachts schlug etwas an sein Ger. Als er nachsah stand sein Pferd vor ihm, schwer verwundet. Am nächsten Tag war es tot. Das Pferd hatte den Prinzen abgeworfen und war im Pfeilhagel geflüchtet, um nach Hause bei seinem richtigen Herren zu sterben. Sucho beweinte es tief, doch in einer Nacht erschien sein Pferd und sprach zu ihm, «kannst du dir was ausdenken lieber Herr, daß ich immer bei dir bin? » So schnitzte Sucho aus den Knochen seines Pferdes einen Pferdekopf und setzte ihn oben auf den Geigenhals, aus den Sehnen machte er die Saiten und nahm Haare vom Schweif für den Bogen. So wurde die Geige zur Stimme des Volkes.

Aufgeregt nahm ich Abschied von Sibylle, in Erwartung der folgenden zwei Nächte im Zug auf der Fahrt nach Irkutsk. Das Leben in Ulaanbaatar war nach ihren Erzählungen hart, besonders im Winter, wenn sich der Smog über die Stadt legte. Die Dioxinbelastung errreichte unvorstellbare Werte. Die Menschen in den Randsiedlungen verbrennen alles, was sich als brennbar erweist, daher auch alle Arten von Plastik. Im Oasis wird mit Pellets geheizt, einem Abfallprodukt der angeschlossenen Schreinerei. Über die Zugfahrt nach Sükhbataar, dem Grenzbahnhof, gibt es nichts Ergiebiges zu berichten. Wir fuhren in die Nacht und hatten Glück mit unseren Reisegefährten Michi und Sandra. Abends löffelten die beiden einen Pott Instantnudelsuppe leer. Heißes Wasser gab es im Waggon aus dem Samowar. Ein für uns unbekannter Genuß, den wir uns für die nächste Bahnetappe auch besorgen wollten. Unsere Waggonchefin war etwas «streng». Waggontüren an den Haltestellen durften nur von ihr geöffnet werden. Unser Abteil war sauber und wir schliefen gut. Als wir wach wurden waren wir schon an der Grenze und es begann wieder eine Wartezeit. An unserem Waggon war hinten und vorne nichts mehr dran, – Abstellgleis.

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