Mathilde

Mathilde

Erzählungen vom Hörensagen

Mathilde war vor dem 1. Weltkrieg in Triest bei einer Familie als Kinderfrau tätig gewesen. Von heut› auf morgen verschwand sie und keiner wußte was genaues. Eines Tages erhielt die Verwandschaft Post von ihr. Ein bräunliches Foto war beigelegt, das sie vor der Sphinx in Ägypten zeigte. Auf dem rechten Kamel war sie gut zu erkennen. Später grassierten noch schaurige Geschichten in der Familie. Angeblich entkam sie nur knapp einem Giftmord. Der Aufruhr war groß, man stelle sich vor, eine junge Frau unter denen da unten. Tante Mathilde mußte später diese Gerüchte, oder auch Tatsachen, noch genährt haben. In ihrer Erinnerung war sie einst heimtückischen Mordanschlägen entgangen. Statt ihr Leben zu verlieren, kamen dabei andere ums Leben.

Sie berichtete auch von einem schwarzafrikanischen Koch , der so schwarz war, daß man ihn nachts nicht sehen konnte, noch dunkler als die Nächte bei Neumond. «Und man bedenke», so wurde von ihr berichtet, «die Nächte in Ägypten sind schwärzer als hierzulande.» Das Wort «schwarzafrikanisch» wiederholte sie noch mehrmals. Angeblich hatte sie bei sogenannten besseren Leuten gearbeitet. Eines Tages hörten die Nachrichten wieder einmal auf, und auch die Päckchen mit Datteln und anderen orientalischen Leckereien blieben aus. Es war, als wäre Letzteres ein schwerer Schlag gewesen als die Ungewißheit über den Verbleib der Tante. Mathildes Mutter, Maria, meine Großmutter, verstarb in jener Zeit. Der 1. Weltkrieg hatte die Männer an die Fronten gerufen und daraus war nun auch ein noch kargeres Leben der zurückgebliebenen Frauen geworden. Auf einem Fuhrwerk hatte man sie weggebracht, dem Sterben schon nahe. Die kleine Emilie, meine Mutter, hatte sie noch ein letztes Mal gesehen, als sie auf den Ochsenkarren gelegt wurde. Sie war erst vier Jahre alt. Bei einer entfernten, alten Verwandten wurde sie mehr geduldet als versorgt. Es gab ja auch nicht viel. Wie die Kinder in jener Zeit mußte sie Läuse im Haar ertragen. Mit Spucke auf den Händen wurden die Haare nach den Plagegeistern abgesucht. Der Krieg schien kein Ende zu nehmen. Von Mathilde war nichts zu hören, sie blieb erst einmal verschollen. Der Vater kam mit Verletzungen aus dem Krieg zurück und litt unter starken Schmerzen. Die kleine Emilie war nun seiner Willkür ausgeliefert, was sich auch nicht besserte, als eine Stiefmutter ins Haus kam. Aus späteren Erzählungen von der Geischler Sophie war sie ein armes Ding und es sollte ihr Leben lang so bleiben. Manche Menschen kämen aus ihrem Unglück nie raus, so meinte sie. Das Unglück begleitete sie im Dorf, die Angst vor dem verfluchtem «boesen» Feld am Wald, dem Tanzboden des Teufels. Dorthin wollte man sie schicken, wenn sie nicht brav folgte. Sie hatte Angst daran vorbei zu gehen. Besonders die größeren Mädchen waren in Gefahr, des Teufels Tänzerinnen zu werden. So wurde es damals erzählt. Eitle Frauen, die sich im Spiegel bewunderten, erblickten die Fratze des Teufels mit seiner langen Zunge. Eine Ankündigung, die ein unschuldiges Kind niemals vergessen würde.

In der Welt der überlieferten Lebensweisheiten war Mathilde ein Mensch, den man unheimlich fand, umgeben von Geheimnissen über die gerne gesprochen wurde, obwohl so manch› ein Schauer über den Rücken rann. Die Leute rückten näher zusammen und warteten auf Neuigkeiten. Die Verwirrung erreichte einen ihrer Höhepunkte, als ein Wienbesucher berichtete, er habe Mathilde leibhaftig dort gesehen. Das war nun glattwegs gelogen, denn kurze Zeit später kam wieder einmal Post, diesmal aus Hongkong. Diese Nachricht war bekannt geworden, noch ehe der Adressant die Karte in Händen hielt. Nun war klar erwiesen, daß der Wienbesucher sie nicht gesehen haben konnte. Er wollte sich wohl wichtig machen, so die Meinung im Dorf. Graz war doch fast schon Ausland und dann erst das ferne China! Im kleinen Laden des Dorfes ebbten die Gespräche darüber auf und ab. Einer der Buben, der die Bürgerschule in Villach besuchte meinte nur, «die Leut› krieg’n das nicht in ihr’n Kopf…». Dafür erhielt er ein paar Watsch’n von seinem Vater. Wie konnte sowas überhaupt geschehen, das mit der Mathilde. Sie lernte auf diesen Reisen ihren Bill kennen und kehrte ihrer Heimat den Rücken, um für lange Zeit in Kalifornien zu leben. Ihre Schwester, meine Mutter, schien vergessen.

Nächste Folge auf http://www.weltenquerung.de/auf-der-anderen-seite-des-tales